Einerseits müssen Corona-Schutzmaßnahmen eingehalten, andererseits aber auch reguläre Betreuungszeiten wie vor Corona in Kitas, Schulen und sonstigen pädagogischen Einrichtungen angeboten werden. PFH-Direktor Prof. Ludger Pesch im Interview.

Corona hat auch das PFH vor große Herausforderungen gestellt. Welche war die größte?

Prof. Ludger Pesch: Ich sehe mehrere Herausforderungen.  Zunächst war es ein Kraftakt, die Kommunikation sicherzustellen. Wir mussten uns technisch besser aufstellen als bisher, dieser Prozess ist auch noch nicht abgeschlossen. Wenn möglich haben wir Meetings und sonstige Gespräche als Video-Konferenzen abgehalten. Es gab auch Mischformen aus realen Versammlungen mit digital zugeschalteten Teilnehmern. Bei der Software, die strengen Datenschutzbestimmungen genügen muss, gibt es immer wieder technische Störungen. Ich hoffe, dass wir hier noch bessere Lösungen finden. In vielen unserer Einrichtungen musste außerdem Equipment besorgt werden: Videokameras oder Laptops zum Beispiel. Das war in der Corona-Zeit dann auch noch oft sehr teuer.

Eine weitere Herausforderung war, flexibel auf die sich fast täglich ändernde Situation zu reagieren. Unsere Leitungskräfte und die Teams aus den Einrichtungen wurden vor Situationen und Herausforderungen gestellt, die bis dato völlig unbekannt waren. Diese Problematik hat sich in den letzten Wochen zugespitzt, als eine Lücke entstand zwischen den Möglichkeiten der Einrichtungen infolge der personellen und räumlichen Bedingungen und der dann doch sehr weitgehenden Lockerung der Vorschriften durch den Senat. Auch rechtlich ist hier längst nicht alles klar. Aber die Kolleg*innen im PFH haben ihre Aufgaben mit großem Einsatz gemeistert.

Vor allem Kitas stehen vor dem Problem, dass sie Kinder nicht in dem Umfang betreuen können, wie den Eltern eigentlich rechtlich an Betreuungszeit vom Senat zugestanden wurde. Wie konnte es dazu kommen?

Das ist für mich zum Teil auch unerklärlich. Die Senatsverwaltung hatte ja sehr detaillierte Vorschriften ausgearbeitet, aber scheinbar zwischendurch einmal die Übersicht verloren. Unsere personellen Möglichkeiten sind derzeit durch die Hygiene-Vorschriften und weitere Corona-Schutzmaßnahmen stark reduziert. Fachkräfte mit Vorerkrankungen z.B. können wir nicht einsetzen. Gleichzeitig müssen wir den Ansprüchen von Eltern und Familien gerecht werden. Das war und ist eine harte Belastungsprobe.

Der Senat hat Empfehlungen an die Träger herausgegeben zur Frage, wie es gelingen kann, rasch mehr Betreuungsplätze zu schaffen. Zum Beispiel: fachfremdes Personal einstellen oder auf Führungszeugnisse verzichten. Wie stehen Sie dazu?

Differenziert. Auf die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses würde ich bei der Beschäftigung einer einrichtungsfremden Person nicht verzichten wollen. Da ist mir der Kinderschutz zu wichtig. Wenn mit fachfremdem Personal aber beispielsweise Eltern aus einer Einrichtung gemeint sind, die helfen oder vielleicht auch über einen längeren Zeitraum unterstützen, dann habe ich keine Bedenken. Auch keine fachlichen Bedenken. Hier geht es lediglich darum, eine Betreuung und Beaufsichtigung der Kinder in Zusammenarbeit mit dem Fachpersonal sicherzustellen. In Kindertageseinrichtungen und anderen Betreuungseinrichtungen gibt es eine Bandbreite von Aufgaben, die nicht alle einen qualifizierten Abschluss erfordern. Ich kenne auch Beispiele aus anderen europäischen Ländern, wo regelmäßig so gearbeitet wird.

Eine weitere Empfehlung des Senats lautet, bei der Kinderbetreuung möglichst auch auf neue Räumlichkeiten auszuweichen. Inwieweit ist das im PFH möglich?

Ich vermute, Kinder sind da flexibler als Erwachsene. Ich bin ohnehin dafür, die Institutionen zu öffnen und immer mal wieder auch über den Zaun nicht nur zu schauen, sondern auch zu springen. Insofern stehe ich der Erschließung weiterer Räumlichkeiten sehr aufgeschlossen gegenüber.

Der Senat hat Geld von den Kita-Trägern zurückgefordert mit der Begründung, dass während des Corona-Lockdowns Kosten hätten eingespart werden können. Das PFH ist u.a. Träger von neun Kitas – wie ist die Forderung hier angekommen?

Die ökonomischen Belastungen für die Gesellschaft sind ungeheuerlich, und es sollte keiner unbillig an dieser Krise verdienen. Deshalb: Wenn es tatsächlich so ist, dass wir Einsparungen hatten, dann finde ich es richtig, dass wir diese an die Gesellschaft zurückgeben. Man muss allerdings bedenken, dass möglichen Einsparungen auch erhöhte Kosten gegenüberstehen, Kosten, die bisher nicht eingepreist waren wie beispielsweise für die zusätzliche hygienische Ausstattung. Also ich bin mir da zurzeit nicht sicher, ob es ein wirklich nennenswertes Sparpotential gab. Die Liga der Wohlfahrtsverbände hat jetzt einen Kompromiss mit der Senatsverwaltung vereinbart, der mir trotz rechtlicher Bedenken vernünftig erscheint. Die Rückforderungen sind zum größeren Teil fallengelassen worden.

Diskutiert wird derzeit auch über die sogenannte Heldenprämie. Der Berliner Bürgermeister hatte „Alltagshelden“ aus der Corona-Krise, darunter auch Erzieher*innen aus der Notbetreuung, einen Leistungsbonus bis zu 1.000, Euro angekündigt. Nun gibt es Ärger. Warum?

Den Ärger auf Seiten der möglicherweise Begünstigten verstehe ich. Zunächst war von 1.000,- Euro die Rede, das wäre wirklich ein nennenswerter Beitrag gewesen. Inzwischen wird nur noch von der Hälfte dieser Summe gesprochen, die wiederum auch nur dann zustande käme, wenn sich die Unternehmen, in denen die Fachkräfte beschäftigt sind, mit 50 Prozent an den Kosten beteiligen. Bei einer Prämie von 500,- Euro müsste ein Träger also 250,- Euro pro Person beitragen. Ich vermute, das ist für die allermeisten Träger bei der knappen Kitafinanzierung nicht machbar. Und das würde in letzter Konsequenz bedeuten, dass viele, die hier eigentlich bedacht werden sollten, am Ende leer ausgehen. Das wird sicherlich nicht nur zu Ärger, sondern auch zu Verdruss beitragen.

Wie empfinden Sie generell die Kommunikation während der Corona-Zeit?

Die Nachrichtenlage ist immer wieder sehr verwirrend. Schriftliche Auskünfte wurden gelegentlich noch am selben Tag widerrufen. Wir haben uns bemüht, die Mitarbeiter*innen des PFH, die Eltern und die Familien so gut und so aktuell zu informieren, wie wir es konnten. Zum Beispiel über unsere Homepage und über Rundschreiben. Ich habe noch nie so viele Mitarbeiter*innen-Rundschreiben verfasst wie während der letzten Wochen. Das Problem bei manchen dieser Mitteilungen war, dass sie im Grunde schon wieder überholt waren, kaum dass sie sich verbreitet hatten. Das wird auch für dieses Interview gelten.

Es wird viel über Corona-Tests in Kitas und Schulen gesprochen, auch im PFH. Wie ist hier der aktuelle Stand?

Wir haben Corona-Tests unter anderem bei unserer letzten öffentlichen Stellungnahme als interessante Option angesprochen. Vielleicht unterschätzen wir die Komplexität dieser Tests und den Aufwand, der dafür betrieben werden muss. Meine Hoffnung war zwischenzeitlich, dass wir uns an wissenschaftlichen Studien beteiligen können, um die Möglichkeit der Tests allen Mitarbeiter*innen kostenfrei oder zumindest kostengünstig anzubieten. Auch haben wir uns bei Laboren erkundigt, zu welchen Konditionen eigene Verträge für Corona-Tests möglich wären. Die Lage ist im Moment so, dass wohl erhebliche Kosten dafür veranschlagt werden müssen. Auf jeden Fall dann, wenn ohne Verdachtsfall getestet wird. Und das ist ja unser Interesse, um zumindest zum Testzeitpunkt X eine Ansteckungsfreiheit zu attestieren.

Haben Sie die Corona-App installiert?

Ich habe die Corona-App installiert und habe im letzten Mitarbeiter*innen-Rundschreiben  diese App empfohlen.

Was wird bleiben aus der Corona-Zeit?

Es ist für viele Menschen eine tragische Zeit. Und diese Tragik ist auch jetzt noch gar nicht in vollem Umfang zu erfassen. Wenn ich an die vielen Selbständigen denke, an die Freiberufler in der Kultur, an einsame Alte und Kranke, an Menschen, die ohnehin schon mit einem knappen Budget auskommen müssen und jetzt durch Kurzarbeit und andere Einkommensverluste noch mehr unter Existenzsorgen leiden. In manchen Ländern reden Regierungen die Probleme herunter und lassen die Bevölkerung weitestgehend im Stich. Das wird Spuren hinterlassen. Demgegenüber, finde ich, ist in Deutschland der Umgang mit Covid-19 bisher gut gelungen. Die erheblichen Einschränkungen der Freiheit waren ungewöhnlich gut begründet, und ich glaube, das hat stark dazu beigetragen, dass sie auch für viele Wochen weitestgehend akzeptiert wurden.

Aktuell werden die Schutzmaßnahmen gelockert – macht Ihnen das Sorgen?

Im Moment gibt es Lockerungen auf zwei Ebenen: Lockerungen bei der staatlichen Aufsicht und gleichzeitig Lockerungen in der Disziplin der Menschen. Und ich glaube, wir beobachten zurzeit schon die Folgen. Gerade ist die erste der drei Ampeln, die gewisse Gefahrensituationen signalisieren, auf Rot gesprungen. Das ist den steigenden Infektionszahlen der letzten Tage zu verdanken. Inwieweit das kalkulierbare und noch hinnehmbare Gefährdungssituationen sind, vermag ich nicht zu entscheiden. Aber es macht mir schon Sorgen. Ein zweiter Lockdown wäre sicherlich sehr viel schwerer durchzusetzen und auch schwerer zu ertragen.

Hat die Corona-Zeit neben all den schlimmen Folgen auch etwas Gutes bewirkt?

Trotz all dieser Tragik und den Beschränkungen sehe ich auch positive Effekte. Die Entschleunigung hat vielen Menschen gutgetan. Weil es die Möglichkeit gab, sich darauf zu besinnen, was wirklich wichtig ist. Manch dringender Unsinn, manch überflüssiges oder viel zu ausgedehntes Meeting konnte vermieden werden. Die Tatsache, dass fast der gesamte Flugverkehr eingestellt werden konnte und trotzdem das wirtschaftliche Leben einigermaßen weiterlief, das ist ein gutes Signal. Auch das Internet kostet Strom und Energie, aber doch sicherlich bedeutend weniger als diese unsinnige Hin- und Her-Jetterei. Ich glaube, dass es in vielen Familien auch so etwas gab wie eine Besinnung auf das Familienleben. Und ich hoffe, dass wir auch die gegenseitige Rücksichtnahme, die wir in diesen Wochen gepflegt haben und die ich bei den allermeisten Menschen auch immer noch gegeben sehe, beibehalten werden. Ich bin schon ein bisschen stolz auf diese Gesellschaft, wenn die Menschen so verantwortungsvoll miteinander umgehen.

Wie geht es Ihnen persönlich, wie schauen Sie in die Zukunft?

Ich bin notorischer Optimist. Als Pädagoge muss ich das sein. Kurzfristig habe ich durchaus Sorgen, dass wir in eine zweite Corona-Welle zurücksegeln. Ich hoffe, dass das vermieden werden kann. Dass wir noch professioneller mit den Anforderungen umgehen können und die Politik hier auch differenzierter vorgeht, als das noch in den ersten Wochen sein musste, weil man sich einer völlig unbekannten Bedrohung gegenüber sah. Wissenschaftler arbeiten mit Hochdruck daran, einen Impfstoff zu finden, um mit dieser Bedrohung zurechtzukommen. Auch da bin ich optimistisch. Aber wie Erich Kästner sagte: Seien wir ehrlich, Leben ist immer lebensgefährlich. Dabei wird es bleiben. Und dieses Leben dennoch und gerade deshalb für kostbar und einmalig zu halten ist vielleicht auch eine Erfahrung, die deutlicher in das Bewusstsein vieler Menschen eingedrungen ist.

Gerade wird um die Balance zwischen Schutzmaßnahmen und Regelbetrieb in den pädagogischen Einrichtungen gerungen. Welcher Weg ist der richtige?

Wir befinden uns hier in einem Dilemma, das übrigens auch durch unsere beiden Stellungnahmen deutlich beschrieben wird. Die erste Stellungnahme des Pestalozzi-Fröbel-Hauses hierzu war übertitelt mit dem Satz „Kinder brauchen Kinder“. Wir haben zu diesem Zeitpunkt beklagt, dass in den wenigsten Stellungnahmen die Bedarfe von Kindern und Jugendlichen thematisiert werden. Dass sie nämlich Gemeinschaft brauchen. Weil vieles, was Kinder und Jugendliche miteinander verhandeln, eben nicht mit Erwachsenen verhandelt werden kann. Und auch nicht gelernt werden kann. Die zweite Stellungnahme bezog sich dann darauf, dass die Lockerungen den Kapazitäten zu diesem Zeitpunkt nicht entsprachen und bis heute auch nicht vollständig entsprechen. Also: Orte für Kinder und Jugendliche zu bieten, an denen sie zusammenkommen können. An denen sie leben und lernen können.  Und dabei die notwendigen Abstands- und Hygieneregeln zu beachten. Das ist ein Spagat, den wir leisten müssen. Wo es keine hundertprozentige Sicherheit gibt. Denn natürlich kostet auch der Lockdown etwas. Lebensqualität, aber auch Gesundheit. Möglicherweise auch Leben. Wir werden vermutlich erst mit einem Abstand von vielen Monaten erfahren, was z.B. bezüglich der Gewalt gegenüber Kindern, Frauen, Minderheiten im Verborgenen in den letzten Monaten geschehen ist. Und insofern navigieren wir ein Stück weit immer im Ungewissen. Aber das kennzeichnet Pädagogik allgemein. Ich weiß nie, was mein Handeln bewirkt. Ich kann es eigentlich immer erst in der Reflexion erkennen, um dann zunehmend sicherer zu agieren. Dieser Aufgabe stellen wir uns. Mit Augenmaß lassen wir immer wieder Kompromisse, Zwischenlösungen und auch Provisorien zu, um den besten Weg zu finden.

Interview: Julia Kocher, Pestalozzi-Fröbel-Haus, 24. Juni 2020