Thomas Glaw hat am 1. November 2019 die Leitung der Kinder- und Jugendhilfe des Pestalozzi-Fröbel-Hauses übernommen. In seiner Abteilung arbeiten aktuell 540 Fachkräfte in rund 40 sozialpädagogischen Einrichtungen wie Kindertagesstätten, Ganztagsbetreuungen an Schulen oder Nachbarschafts- und Familienzentren. Im Interview spricht Thomas Glaw über seine Pläne und künftige Schwerpunkte für das PFH, über seine Motivation und über seine eigene Geschichte.

Haben Sie Vorsätze für das neue Jahr?

Glaw: Nun bin ich zwei Monate als Leitungskraft hier, inspiriert und involviert in ganz viele Prozesse. Ein wichtiger Vorsatz ist, dass wir die Personalstellen, die vakant sind, besetzt bekommen. Wie alle Jugendhilfe- und Bildungsinstitutionen reagieren auch wir auf den Fachkräftemangel.  Wenn wir eine strukturelle Stabilität hergestellt haben, dann werden wir uns mit den Abläufen detaillierter befassen.

Das heißt, Zuständigkeiten klären?

Glaw: Verantwortungsbereiche trifft es für mich besser. Wenn wir über Verantwortung sprechen, dann bedeutet das, dass wir alle spezielle Aufgaben übernehmen, und dennoch haben wir alle aus unserem jeweiligen Blickwinkel und aufgrund unserer Position heraus auch eine Verantwortung für die gesamte Organisation. Diese konzeptionelle Idee, dass Menschen in der Verbundenheit zueinander angesprochen werden, möchte ich anregen. Darüber hinaus möchte ich eine demokratische Organisationsentwicklung mit einer demokratischen Praxis verbinden.

Wie kann solch eine demokratische Organisationsentwicklung für das PFH aussehen?

Glaw: Ein zentraler Schritt ist, die Strukturen nachvollziehbar und transparent zu gestalten. Demokratie ist für mich immer Lebensform, und das bedeutet, im Miteinander zu sein. Sich im Austausch zu befinden. Das beinhaltet per se Konflikte. Wir alle haben Grenzen, die bedeuten, dass wir an die Grenzen anderer stoßen. Dann unterhalten wir uns darüber, eruieren, was das jeweils für uns bedeutet und wir finden gemeinsam Lösungen. Manchmal entstehen dadurch Zustände, die nicht einfach sind und die für einen Moment auszuhalten sind, aber es geht immer darum, miteinander im Dialog zu sein. Ein übergeordnetes Ziel ist, uns im PFH ausgehend von dem, was bereits reichhaltig existiert, kontinuierlich weiter demokratisch und partizipativ zu entwickeln. Ein ganz konkreter Prozess diesbezüglich ist, dass ich mich dafür engagiere, ein Beschwerdeverfahren im PFH mit zu entwickeln. Jeder soll sich einbringen können. Des Weiteren finde ich, wie eingangs gesagt, dass Transparenz in der Kommunikation sowie bezüglich der Finanzierung wichtig sind.

Warum sind Sie zum Pestalozzi-Fröbel-Haus gekommen, was hat Sie an der Arbeit hier gereizt?

Glaw: Mir gefällt dieser enge Bezug zwischen Theorie und Praxis, der dem PFH in seine DNA hineingeschrieben ist. Wir handeln entweder planvoll mit Konzept oder manchmal auch intuitiv, weil wir nicht alle Handlungskonzepte abrufen können. Dann aber reflektieren wir im Nachhinein, wie das Handeln war. Reflexion bedeutet eine fortlaufende Qualitätsentwicklung, und diese ist im PFH durch die enge Verbindung der theoretischen Erzieherausbildung mit der praktischen Arbeit in unseren Einrichtungen gegeben.

Was ist für Sie die größte Herausforderung?

Glaw: Der Fachkräftemangel sowie die Personalentwicklung. Wie gelingt es uns, gute Fachkräfte für unsere Praxiseinrichtungen zu gewinnen? Wie soll eine gute Erzieherausbildung aussehen? Und wie können sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei uns im Haus weiterentwickeln? Wir sollten über Möglichkeiten von Strukturen der Entwicklungen, wie z.B. Aufstiegen, nachdenken, aber auch über Querverbindungen in der Breite. Eine Fachkraft, die in der Kita arbeitet, könnte irgendwann in die Ganztagsbetreuung einer Schule wechseln oder in die Jugendsozialarbeit, wenn sie sich verändern möchte. Wir könnten in Einzelfällen auch über Unterstützung bei einem Studium nachdenken.

Sie kennen das PFH schon lange, haben ganz zu Beginn ihrer beruflichen Entwicklung hier eine Erzieherausbildung absolviert. Was war damals Ihre Motivation, Erzieher zu werden?

Glaw: Die Erzieherausbildung hat sich damals für mich eher so ergeben. Ich bin in Neukölln groß geworden in einem stark katholischen Elternhaus. Das ist ja schon ungewöhnlich in Berlin und in Neukölln noch einmal im Speziellen. Neukölln war schon damals sehr multikulturell, ich habe seit meiner frühen Kindheit mit sehr vielen Religionen und Herkünften zu tun gehabt. Zugleich hatte ich den Raum der Kirchengemeinde. In der Gemeinde durfte ich schnell Verantwortung für die Jugendarbeit übernehmen. Ich habe dort früh die Jugendgruppen, an denen ich auch selbst teilgenommen hatte, geleitet. Irgendwann wurde ich Jugendvertreter im Pfarrgemeinderat.

Die soziale Arbeit war aber ursprünglich gar nicht das, was ich beruflich ins Auge gefasst habe. Nach der Schule hatte ich zuerst Publizistik und Soziologie studiert, ich wollte Journalist werden, bis ich merkte, das ist nichts für mich. Danach hatte ich überlegt, eine Ausbildung oder ein Studium im Bereich Grafik Design, Freie Malerei oder Bildhauerei zu absolvieren. Letztendlich entschied ich mich dann für die Erzieherausbildung am Pestalozzi-Fröbel-Haus. Jetzt im Rückblick mit 46 Jahren merke ich: Das Soziale war immer ein Bereich, der mich inspiriert hat, wo ich mich in die Gemeinschaft einbringen konnte, der mir Sinn gegeben hat.

Wenn eine gute Fee Ihnen drei politische Wünsche erfüllen würde, welche wären das?

Glaw: Das sind ja Fragen... Also:

Ich glaube, dass das Gefühl von Verbundenheit, Eingebundenheit und Solidarität ausbaufähig ist. Bei uns in Deutschland, aber auch global betrachtet. Deshalb ist es mein Wunsch, dass hier dynamische Entwicklungen stattfinden. Es ist die Herausforderung an uns Menschen, dass wir gleichzeitig Individuum und Kollektiv sind, dass wir unsere eigene Freiheit haben und uns gleichzeitig in einer Mitverantwortung befinden. Jeder Mensch soll auch das Gefühl haben, aufgehoben zu sein, sich fallen lassen zu können. Damit verbunden sind starke Argumente gegen antidemokratische Strömungen, und vor diesem Hintergrund ist dieser Wunsch ein politischer Wunsch.

Ein zweiter Wunsch wäre, dass wir verantwortungsvoller mit unserer Umwelt umgehen im Sinne von Ökologie. Hier besteht die größte Gefahr und es geht um die Lebensbedingungen, die unsere Kinder und Enkelkinder irgendwann einmal haben werden. Ich wünsche mir, dass es der Politik gelingt, für ökologische Themen Mehrheiten zu bilden, dass es für ökologische Themen ein höheres Bewusstsein in der Gesellschaft gibt und dass mehr investiert wird als das, was nur aus ökonomischen Gründen getan wird.

Mein dritter Wunsch ist eigentlich ein Verbund aus den ersten beiden Wünschen bezüglich der Solidarität, der Eingebundenheit und der Ökologie. Denn alles hier Benannte kann nur erreicht werden, wenn die Menschen, die künftig Verantwortung übernehmen werden, auch lernen dürfen, was es heißt, Verantwortung zu übernehmen. Der Schlüssel dazu liegt für mich in der Bildung.

Das Interview führte Julia Ziegler, Pestalozzi-Fröbel-Haus Berlin, im Januar 2020