Auftakt der Interviewreihe "Auf einen Kaffee mit..." für den Newsletter des Pestalozzi-Fröbel-Hauses, 19. Juni 2019.

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Sie haben zwei Kinder: Was war Ihnen bei deren Erziehung wichtig?

Prof. Ludger Pesch: Natürlich alles ganz anders zu machen als selbst erlebt. Meine Kinder sollten mehr mitbestimmen können über ihr Leben. Gleichzeitig wollte ich ihnen auch etwas zeigen vom Reichtum der Welt. Ich gehe davon aus, dass man Kindern Türen öffnen muss. Das hieß zum Beispiel, dass ich meine Kinder in den mir vertrauten und gleichzeitig für mich sehr kritischen kirchlichen Kontext einführte, damit sie ihn überhaupt kennenlernten. Selbstverständlich behalten sie die Freiheit, selbst über ihren Umgang mit Religion zu entscheiden. Es gehörte für mich dazu, sie mit der Kultur dieser Stadt bekannt zu machen. Wir haben unendlich viele Kindertheater besucht, alle Hotspots dieser Stadt für Kinder und ihre Familien, wir haben viele Reisen unternommen. Das ist das eine, darüber hinaus haben meine Frau und ich uns auch viel mit den Bildungseinrichtungen unserer Kinder auseinandergesetzt.

Worauf haben Sie bei den Bildungseinrichtungen geachtet?

Prof. Ludger Pesch: Wir legten großen Wert darauf, dass unsere Kinder für ihr Wohlbefinden bekömmliche Kindergärten und Schulen besuchen und haben mehrfach Bildungseinrichtungen verlassen, wenn die Bedingungen dort nicht mehr gut waren. Dabei haben wir lange vermeiden können, in private Einrichtungen abzutauchen. Ich wollte nie besondere Privilegien für unsere Kinder in Anspruch nehmen. Das ist uns auch weitestgehend gelungen. Ich habe mich sehr häufig in kritische Diskussionen mit den Fachkräften, aber auch mit den Mit-Eltern begeben und habe oft zu hören bekommen: Wenn Du keine Ziffernoten haben willst, wenn Du einen späteren Schulbeginn oder dieses und jenes willst, dann gehe doch in den privaten Sektor. Ich habe darauf immer geantwortet: Ich möchte, dass diese Einrichtung für alle Kinder gut ist und lasse mich nicht von Euch zu den Privaten abdrängen. Das hat manchmal sogar zu schulweiter Beachtung und Anerkennung geführt.

Sie sind heute Chef von rund 600 Personen, die fast alle im pädagogischen Bereich arbeiten. Was ist Ihnen bei Ihrer Arbeit wichtig?

Prof. Ludger Pesch: Mir ist es wichtig, dass sich Form und Inhalt einander angleichen. Das bedeutet, dass unsere Ziele auch in unserem Tun erkennbar sind. Die pädagogischen Ziele übertrage ich auch auf den Erwachsenenbereich. Pädagogische Fachkräfte, von denen ich erwarte, dass sie Kinder in einem demokratischen Geist erziehen, sollten selbständig denken und handeln und haben das Recht, in einem partizipativem, demokratisch legitimiertem Prozess geführt zu werden. Den Anordnungen gehen Diskussionen voraus, wo es gilt, die verschiedenen Perspektiven ins Gespräch zu bringen und Entscheidungen vorzubereiten. Das demokratische Mindestmaß ist eine transparente, nachvollziehbare Information über Entscheidungen. Da, wo Verantwortung geteilt werden kann, sollte diese möglichst geteilt werden. Ich möchte, dass Entscheidungen vor allem dort getroffen werden, wo sie letztlich umgesetzt werden. Die nächsthöhere Instanz tritt nur ein, wenn es legitim und sinnvoll ist. Demokratie und Subsidiarität gehören für mich eng zusammen. Das kann unter Umständen einen anstrengenden Aushandlungsprozess bedeuten. Schnelle Entscheidungen sind so in der Regel auch nicht zu treffen. Aber ich gehe davon aus, dass schnelle Entscheidungen im Normalfall nicht vonnöten sind.

Was sind gerade Ihre wichtigsten Projekte?

Prof. Ludger Pesch: Es gibt relativ konkrete Projekte vor allem rund um unser Leitkonzept Early Excellence. Da stehen im nächsten Jahr, und das bereiten wir jetzt schon vor, zwei größere Dinge bevor: Einmal die Early Excellence-Weiterbildung, die wir neu als Träger durchführen. Bisher hat ein Verein dafür gesorgt, jetzt tragen wir selber die Verantwortung dafür. Das ist eine Weiterbildung nicht nur für unsere eigenen Fachkräfte, sondern sie wird bundesweit angeboten. Und damit in Zusammenhang jährt sich im nächsten Jahr zum 20. Mal die Einführung von Early Excellence in Deutschland und damit auch die Etablierung des Konzeptes beim PFH. Das wollen wir mit einer großen, dreitägigen Veranstaltung mit nationalen und internationalen Partnern feiern und diskutieren.

Ein weiteres Thema ist die Organisation und die Art und Weise unserer internen Kommunikation. Ich bin jetzt seit einem Jahr hier und habe eine Vielzahl an Gesprächen geführt, um die verschiedenen Problemlagen zu verstehen. In unserem aktuellen Leitbildentwurf steht ein Fröbel-Zitat vom „freien, denkenden, selbständigen Menschen“. Das erwarte ich von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und daran arbeite ich.

Welche Probleme sind die größten?

Prof. Ludger Pesch: Im fachlichen Bereich gibt eine Fülle ungelöster Probleme. Zum Beispiel hat die Bildung und Erziehung im Kindes- und Jugendalter nicht die gesellschaftliche Anerkennung, die sie verdient. Daraus resultieren unendlich viele Probleme wie etwa der Fachkräftemangel, Mängel in der Ausbildung oder eine übermenschliche Arbeitsbelastung. An manchen Stellen sind unsere Fachkräfte Belastungen ausgeliefert, die man gar nicht ein ganzes Berufsleben lang durchhalten kann. Ich habe hohen Respekt vor Menschen, denen es dennoch gelingt. Man sollte aber einen pädagogischen Beruf auch ergreifen können, ohne dass man Held oder Heldin ist. Hier Verbesserungen zu erreichen, darin sehe ich eine große Aufgabe, an der ich mit Sicherheit scheitern werde insofern, dass es zu keinem großen, durchschlagenden Erfolg kommen wird. Aber ich habe mir diese Aufgabe gestellt, und Resignation und Weglaufen gelten für mich nicht.

Was brauchen wir, damit Bildungseinrichtungen wie z.B. Kitas besser werden?

Prof. Ludger Pesch: Die Ausstattung von Kitas erfüllt bisher nicht den professionellen Anspruch, den wir während der letzten 20 Jahren formuliert haben. Zwar hat die Gesellschaft durchaus Fortschritte gemacht bezüglich der Erkenntnis, dass für erzieherische Tätigkeiten eine qualifizierte Ausbildung vonnöten ist. Als ich damals eine Berufstätigkeit aufnahm als Leiter einer Kindertagesstätte, fragte mich noch meine Mutter: Was willst Du da eigentlich? Sie hatte ein ganz klares, konventionelles Berufsbild. Für sie war der Kindergarten ein Berufsfeld, in dem junge Frauen vor einer wirklich qualifizierten Berufstätigkeit oder vor ihrer Mutterschaft eine Art Praktikum machen. Das war das Image dieses Berufsfeldes zumindest in Westdeutschland. Davon sind wir lange weg. Gesellschaft und Politik haben hier Fortschritte gemacht in den letzten Jahrzehnten. Die Kindertagesstätte spielt als erste Einrichtung unseres Bildungssystems eine wichtige Rolle. Die Ausstattung klappert aber dem Anspruch, den wir formulieren, weit hinterher. Auf der anderen Seite können wir feststellen, dass Einrichtungen bei vergleichbarer Ausstattung sehr unterschiedliche Qualität haben können. Es bedarf also auch eines kritischen kollegialen Umgangs.

Meines Erachtens kann man keine erzieherische Tätigkeit ausüben, wenn man nicht immer wieder die Gelegenheit erhält, sich davon zu distanzieren. Unsere Fachkräfte müssen mehr Zeit für Teamgespräche erhalten, für kollegiale Beratung, für pädagogische Planung, und sie müssen durch Supervision gestärkt werden. Dafür sind die Rahmenbedingungen noch absolut unzureichend, und gerade hier in Berlin verfehlen wir die Empfehlungen der Bertelsmann-Stiftung, die auch international gut abgesichert sind, noch um Längen, um teilweise fast 100 Prozent.

An welche Empfehlungen denken Sie konkret?

Prof. Ludger Pesch: Die Empfehlung der Bertelsmann-Stiftung für die Betreuung von Kindern unter drei Jahren liegt bei 1 : 3. Der faktische Personalschlüssel in Berlin liegt hier bei 1 : 5,9. In der Altersgruppe der Drei- bis Sechsjährigen ist das Missverhältnis nicht mehr ganz so groß, aber immer noch deutlich. Hier empfiehlt die Bertelsmann-Stiftung einen Schlüssel von 1 : 6, in Berlin liegt der faktische Schlüssel bei 1 : 9.  

Ein Kommentar zum Kita-Gesetz?

Prof. Ludger Pesch: Damit kommen wir in den Bereich des Föderalismus und des von mir so gelobten Prinzips der Subsidiarität. Ich bin in diesem Fall eher ein Verfechter von bundesweiter Verantwortung. Insofern ist das Gute-Kita-Gesetz ein richtiger Schritt, weil sich der Bund jetzt engagiert. Die Befürworter des Föderalismus sehen das durchaus kritisch, und es gab auch eine Menge Probleme, dieses sogenannte Gute-Kita-Gesetz durchzusetzen. Es ist wie immer im politischen Raum eine Kompromisslösung, die bedeuten kann, dass hier gar nicht die Kita an sich verbessert wird, sondern dass lediglich durch den Erlass von Gebühren die Zugänglichkeit oder - wie es in den Gesetzestexten heißt - die Teilhabe verbessert wird.

Können Sie das Gute-Kita-Gesetz kurz zusammenfassen?

Prof. Ludger Pesch: Die Länder haben beim Gute-Kita-Gesetz die Wahl zwischen zwölf Maßnahmen, zu denen tatsächliche Verbesserungen zählen, beispielsweise die Verbesserung der Rahmenbedingungen, die aber auch lediglich die Inanspruchnahme des Geldes zur Befreiung oder zur Minderung von Kitagebühren bedeuten können. Wenn Kitagebühren erlassen werden, dann ist das zunächst einmal nicht zu tadeln. Aber deshalb kommen noch keine Mittel zur Verbesserung der Infrastruktur in der Kita an. Viele Fachgremien haben deshalb in den letzten Jahren immer wieder gefordert, dass man die Verbesserung der Rahmenbedingungen priorisieren sollte vor einem Gebührennachlass. Das sind eigentlich zwei völlig verschiedene Bereiche, die aber im Gute-Kita-Gesetz vermischt werden. Das halte ich für nicht zielführend, wenn man mit dem Gute-Kita-Gesetz die Qualität in Einrichtungen verbessern will.

Wird denn generell zu viel über Kitaplätze gesprochen und zu wenig über Qualität - von Politikern wie auch von Eltern?

Prof. Ludger Pesch: Es ist gut, dass jedes Kind in Deutschland, und zwar demnächst bis ins Grundschulalter hinein, Anspruch auf einen Platz in einer Kita bzw. in einem Hort hat. Das ist eine Entwicklung, die in den letzten 30 Jahren, also seit der deutsch-deutschen Vereinigung, einen großen Schub bekommen hat. Die Platzgarantie für Familien ist inzwischen Gesetz, auch wenn sie faktisch nicht immer eingelöst ist. Mit Blick auf die politischen Entscheidungen habe ich Verständnis dafür, dass Politiker*innen ihren Schwerpunkt auf die Bemühungen legen, die versprochenen Plätze tatsächlich auch zu schaffen. Das ist die eine Seite. Unsere Aufgabe als Träger ist es in erster Linie aber nicht, viele Plätze zu schaffen, sondern gute Plätze zu schaffen und eine hohe Qualität der Bildung und Erziehung sicherzustellen. Das ist unsere Perspektive. Das muss ausgehandelt werden und nach Möglichkeit nicht als Widerspruch aufgefasst werden. Also je mehr Plätze, desto geringer die Qualität. Oder je höher die Qualität, desto weniger Plätze. Und damit wieder nur Plätze für Privilegierte. Nein, es müssen beide Ziele verfolgt werden, und da sehe ich ein Ungleichgewicht zuungunsten der Qualität.

Gibt es Bundesländer, bei denen man sich Anregungen holen kann beim Thema Kita-Qualität?

Prof. Ludger Pesch: Ich habe einmal einen Austausch von Kita-Fachkräften aus Baden-Württemberg sowie aus Berlin und Brandenburg organisiert. Diese beiden Gruppen haben sich gegenseitig besucht und wir hatten eine gemeinsame Abschlusstagung. Natürlich wurde auch über die Rahmenbedingungen gesprochen, und dann hat jemand ein paar Zahlen an die Wand geworfen und Baden-Württemberg und Berlin-Brandenburg miteinander verglichen. Aus Sicht der Berlin-Brandenburger hatten die Baden-Württemberger traumhafte Rahmenbedingungen. Dort wurden z.B. jeder Fachkraft vier bis fünf Stunden Vor- und Nachbereitungszeit pro Woche garantiert. Dies bedeutet, die Fachkräfte verfügen dort über eine Stunde pro Tag, die frei von unmittelbarer pädagogischer Arbeit zu halten ist. Derartige Garantien oder Regelungen gab und gibt es bis heute in Berlin und Brandenburg überhaupt nicht, oder sie werden sehr mühsam und in weitaus geringerem Teil in einer Einrichtung erwirtschaftet. Früher waren solche qualitativen Unterschiede zwischen Bundesländern immer sehr unklar. Es ist ein Verdienst der Bertelsmann-Stiftung, mit dem Kita-Monitor ein Instrument geschaffen zu haben, wo immer sehr deutlich wird, welches Land die rote Laterne trägt bezüglich der Rahmenbedingungen. Was in den jeweiligen Ländern dann in der Regel zu der Anstrengung bzw. zu dem Ziel führt, die rote Laterne wieder abzugeben. Da gibt es dann gerade am unteren Ende der Skala einen Wettbewerb, und der hat tatsächlich in den neuen Bundesländern, die davon betroffen sind, in den letzten Jahren zu Strukturverbesserungen geführt. Leider immer nur in sehr kleinen Schritten, nie wirklich grundsätzlich. Insofern kann man, was die Rahmenbedingungen angeht, sehr viel von den süddeutschen Ländern lernen. Man kann dort sehen: Es geht tatsächlich auch besser, man kann besser ausstatten. Es ist letztlich immer eine Frage der politischen Prioritäten. Die neuen Bundesländer einschließlich Berlin sind in der quantitativen Ausstattung sehr viel besser. Auf dem süddeutschen Lande wird man sich wahrscheinlich nach wie vor schwertun, Ganztagsplätze für Kinder zu finden. Wenn wir dann auf den Bereich der Konzepte schauen, haben wir sowohl innerhalb Deutschlands als auch international viele interessante Anstöße, von denen wir wechselseitig lernen können und lernen sollten.

Ihr Lieblingsbezirk in Berlin?

Prof. Ludger Pesch: Ich finde es klasse, dass sich unser PFH-Campus in Schöneberg befindet. Ich mag diesen Stadtteil sehr, auch wenn ich leider nicht mehr hier in Schöneberg lebe. Es gibt hier eine inspirierende Kulturszene für alle Altersklassen, Kinos, Kneipen, viele interessante Straßen gerade hier in der unmittelbaren Umgebung des PFH-Campus.

Könnte Berlin ein paar mehr preußische Tugenden vertragen?

Prof. Ludger Pesch: Interessante Frage. Preußen wird ja nun sehr stark mit den Hohenzollern verbunden, da gibt es viel Licht wie die Aufklärung und die Gesetzgebung, aber auch sehr viel Schatten wie den Militarismus und den Untertanengeist. Es ist immer die Frage, was man mit preußischen Tugenden meint. Tugenden wie Korrektheit und Pflichtbewusstsein übersetze ich mit einer Liebe zu den Inhalten und auch mit einem gewissen Arbeitsethos. Also dem inneren Auftrag, seiner Aufgabe gerecht zu werden. Und so würde ich jetzt einmal ganz unvorsichtig antworten: Ja! Das würde zum Beispiel im öffentlichen Dienst bedeuten, nicht zu sagen: Geht mich nichts an, ist nicht mein Ressort, da übernehme ich keine Verantwortung. Sondern aus der Liebe zur Sache und aus dem inneren Auftrag heraus für Lösungen und für Aufgabenerledigungen zu sorgen, auch mal was zu riskieren, nicht auf den Vorgesetzten zu warten, sondern die Aufgabe so anzugehen, wie man es für richtig hält, und sich dann dafür gegebenenfalls auch zu erklären.

Sind die Berliner gut zu ihren Kindern?

Prof. Ludger Pesch: Ich überlege, wer nicht gut war.... es gibt einzelne Personen, die stehen mir klar vor Augen. Aber ansonsten würde ich sagen: Ja. Ich denke an manche Erzieherinnen und Lehrerinnen. Überdies: Kitas dienen nicht allein der Kinderbetreuung, sondern man erhält dort auch die Gelegenheit, andere Familien mit ähnlichen Lebenssituationen kennenzulernen, sich zu befreunden, sich zu unterstützen. Das ist ein kultureller Faktor, der in der Fachszene gar nicht hoch genug wertgeschätzt werden kann bzw. der oft unterschätzt wird. Wenn ich meine eigene Familie betrachte: Die ersten Entlastungen haben wir durch befreundete Eltern aus der Kita gefunden, die unsere Kinder für einige Stunden oder auch einmal für eine Nacht übernahmen. So hatten meine Frau und ich das erste Mal wieder die Möglichkeit, auch als Paar etwas zu unternehmen, ohne ständig auf die Uhr schauen zu müssen. Also insofern haben wir in den und über die Betreuungseinrichtungen unserer Kinder immer sehr viele Berlinerinnen und Berliner gefunden, die gut zu uns und zu unseren Kindern waren.

Haben Sie bei meiner vorigen Frage das Gendern vermisst?

Prof. Ludger Pesch: Wie war die Frage noch? Ach ja, Berliner. Nein, habe ich nicht vermisst. Ich bin fern davon, sprachpolizeilich zu agieren. In der schriftlichen Form achte ich auf Gendergerechtigkeit und empfinde dort den Stern als passend. Im sprachlichen Ausdruck empfinde ich das Gendern manchmal als bemüht. Wenn Sie jetzt von Berlinerinnen und Berlinern gesprochen hätten, wäre es mir auch recht gewesen. Es kann aber in der Häufung auch ein bisschen lästig werden.

Haben Sie Vorbilder?

Ich habe Vorbilder in verschiedenen Bereichen. Was diese Menschen miteinander verbindet, ist die Liebe und die Hingabe zu ihren jeweiligen Aufgaben, zu ihren jeweiligen Berufen oder Leidenschaften. Das imponiert mir. Wenn jemand seine Aufgaben mit Leidenschaft, Liebe und Interesse angeht. Und dabei das eine oder andere tut, was über das Normalmaß hinausgeht. Ich habe einige akademische Lehrer, die ich sehr schätze. Ich hatte immer den Eindruck, dass sie für ihr Fach und für ihre Themen brennen, wobei das schon fast zu viel gesagt wäre.... brennen führt auch oft zum Verbrennen und hat leicht so eine Zwanghaftigkeit. Aber sie übten ihren Beruf wirklich gerne aus mit großer Leidenschaft und großem Interesse. Von einigen habe ich auch so etwas wie Leitsätze mitgenommen. Manchmal bedauere ich es, dass ich ihnen zu Lebzeiten nicht mehr gesagt habe, was sie mir bedeuten.
Ich empfinde große Anerkennung und Wertschätzung für Menschen, die im Widerstand gegen den politischen Mainstream gelebt haben. Personen wie Rosa Parks und Martin Luther King, wie der brasilianische Bischof Don Hélder Câmera, den ich sogar einmal das Glück hatte zu treffen. Menschen, die überzeugend im Widerstand gegen Gewalt ein Leben in Gewaltlosigkeit lebten. Auf literarischer Ebene sehe ich das in der Figur des Till Eulenspiegel repräsentiert. Seine Selbstcharakterisierung „Niemands Knecht, niemands Herr!“ aus dem Eulenspiegel-Buch von Christa und Gerhard Wolf ist mein eigener Leitsatz geworden.
Ich bin in meiner Studienzeit zum Kinofan geworden, und es gibt dort einige, die ich besonders verehre. Z.B. Charlie Chaplin, der den Film überhaupt erst zur Kunstform erhoben hat. Ich kenne alle Filme von ihm, habe mich auch in seine Biografie vertieft, die ihn natürlich als sehr problematischen Menschen bezüglich seines Umgangs mit Frauen zeigt. Aber er war eben auch jemand, der eine sehr kinderfreundliche und pazifistische Grundhaltung hatte, die in seinen Filmen durchscheint. Ich bin ein großer Fan von Alfred Hitchcock, weil er sich ganz besonders der Regiemittel bewusst war. Der Aspekt der Regie ist für mich auch pädagogisch sehr interessant. Wie schaffe ich es, Menschen dahin zu bringen, an etwas zu glauben, zu fühlen, zu denken? Auf die Pädagogik übertragen: Wie helfe ich Menschen dabei, in bewusster Weise Ideen zu äußern und Erfahrungen zu machen, die sie weiterbringen?

Wenn Sie eine Persönlichkeit oder aus der Vergangenheit treffen könnten, wer wäre das und warum?

Prof. Ludger Pesch: Es gibt viele, die ich gerne treffen würde. Martin Luther würde ich gerne treffen und ihn fragen, was für ihn die Initialzündung war zur Reformation. Ich würde gerne meine geschätzten Regisseure treffen, um zu lernen, Dinge so zu inszenieren, dass Menschen sich gut unterhalten fühlen und erleben können, was sie jeweils erwarten: Spannung, Freude oder auch Angst, je nachdem, worum es geht. Und mit Dietmar Schönherr und Vivi Bach würde ich gerne einige weitere Shows von „Wünsch dir was“ erfinden.

Wem wären Sie lieber nie begegnet?

Prof. Ludger Pesch: Unter einigen Internatserzieher*innen habe ich stark gelitten. Allerdings haben sie auch meinen Willen zum Widerstand geweckt. Also insofern kann ich auch nicht sagen, dass ich sie lieber nicht getroffen hätte. Ich versuche immer, aus jeder Begegnung, auch wenn sie schmerzhaft oder enttäuschend war, zumindest in der Reflexion irgendetwas zu gewinnen, was mich weiterbringt und mich schützt.

Interview: Julia Ziegler, Pestalozzi-Fröbel-Haus, im Mai 2019

für die Newsletter-Interviewreihe "Auf einen Kaffee mit". Hier wird künftig in jeder Newsletter-Ausgabe eine Persönlichkeit aus dem Umfeld des Pestalozzi-Fröbel-Hauses vorgestellt.

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