Wenn Kinder Fragen über den Tod stellen, dann sind diese für Erwachsene oft nicht einfach zu beantworten. Wohin geht ein Mensch, wenn er stirbt, und wenn es der Himmel ist, wie sieht es da so aus? Nina Weiß berät im Pestalozzi-Fröbel-Haus pädagogische Fachkräfte, die sich auf Gespräche mit Kindern rund um den Tod vorbereiten möchten. Auch für Fachkräfte im PFH, die trauernde Kinder betreuen oder die mit einem Todesfall in ihrer Einrichtung umgehen müssen, ist sie eine Ansprechpartnerin. Im Interview spricht Nina Weiß über den Inhalt ihrer Angebote, die teilweise auch von Fachkräften außerhalb des PFH in Anspruch genommen werden können, sowie über ihre Empfehlungen beim Umgang mit Kindern und Erwachsenen, die trauern.

Welche Art der Unterstützung können Sie Fachkräften anbieten, die mit Themen wie Tod und Trauer umgehen müssen?

Nina Weiß: Es gibt zwei Angebote. Zum einen biete ich sofortige Hilfe an, wenn in einer Einrichtung mit einem Todesfall umgegangen werden muss. Das kommt zum Glück nicht oft vor. Mein zweites Angebot ist unabhängig von einem konkreten Anlass. Hier geht es um Überlegungen und Methoden, wenn Pädagogen generell über das Thema Tod mit Kindern oder Jugendlichen ins Gespräch kommen wollen. Kinder denken von sich aus über das Sterben nach und fragen sich: Was ist das eigentlich? Sie sind auch fasziniert von toten  Tieren oder spielen, dass sie selbst tot sind. Sie stellen Fragen. Dann ist es gut, sich Zeit zu nehmen, um herauszufinden, was die Kinder gerade genau interessiert, und gemeinsam nach Antworten zu suchen. Darin besteht eine Art Prophylaxe. Es hilft ihnen, wenn jemand in ihrem Umfeld stirbt. Sie haben Worte für das, was geschieht und sie kennen Abläufe, Rituale und Bewältigungsstrategien. Wenn pädagogische Fachkräfte sich gemeinsam mit den Kindern mit dem Thema beschäftigen möchten, kann ich sie mit Tipps und Anregungen unterstützen. Außerdem habe ich verschiedene Materialien, die ich gerne zur Verfügung stelle. Übrigens gilt mein Angebot natürlich auch für Jugendliche. Sie setzen sich auf ganz andere Art und Weise mit dem Tod auseinander, der für sie häufig eine besondere Faszination hat. 

Wenn eine pädagogische Fachkraft Sie nun bittet, in ihrer Einrichtung solch ein vorbeugendes Angebot zu realisieren: wie geht es dann weiter?

Nina Weiß: Ich würde vorschlagen, ins Team zu kommen. Das heißt, ich würde nicht nur eine einzelne Fachkraft beraten, sondern im Team klären, wer das Thema angehen möchte. Meistens sind nicht alle dazu bereit, und ich finde es wichtig, das zu respektieren. Dann würde ich kreative Methoden vorstellen, auch Bücher, die sich für verschiedene Altersgruppen eignen, kleine Filme, Lieder, Gedichte. Gemeinsam können wir besprechen, welche Schwerpunkte für die Kinder aus der jeweiligen Einrichtung am besten passen. Es ist stark abhängig davon, wie weit ihre Vorstellungen vom Tod entwickelt sind. Die direkte Arbeit mit den Kindern überlasse ich in der Regel den Fachkräften. Ich selbst übernehme das nur ganz selten, weil ich es wichtig finde, dass so ein schwieriges Thema mit vertrauten Bezugspersonen bearbeitet wird.

 

Warum empfehlen Sie, die Vorgehensweise bei solchen Gesprächen im Team vorzubereiten?

Nina Weiß: Weil es wichtig ist, bei diesem Thema nicht nur eine eigene Haltung zu haben, sondern auch im Team einen Konsens zu finden: Wie gehen wir damit um? Oft geht es um Jenseitsvorstellungen, um die Frage, was mit den Toten passiert. Da sind wir geneigt zu sagen: Keiner weiß es so genau. Das stimmt ja auch. Aber genau diese Antwort halten viele Kinder nur ganz schwer aus. Wenn wir an solch einer Stelle nicht verbindlich sind, dann können wir Kinder sehr verunsichern. Wir müssen bedenken, wie gruselig so eine Vorstellung für ein Kind sein kann: Ein Mensch verschwindet, und keiner weiß wohin. Deswegen sollte sich ein Team einigen, wie mit Fragen dieser Art umgegangen werden soll. Idealerweise findet man Antworten, wo alle sagen: Ja, da stehe ich dahinter. Auch die kulturellen Vorstellungen aus den Familien der Kinder sollten berücksichtigt werden.

Können Sie beispielhaft benennen, wie das Ergebnis nach solch einem Teamgespräch aussehen könnte?

Nina Weiß: Man könnte sich auf bestimmte Sätze einigen, die in einer Antwort verwendet werden. Zum Beispiel: Die Menschen, an die wir uns erinnern, leben in uns weiter. Niemand verschwindet ganz, solange es jemanden gibt, der an ihn denkt. Oder: Die Menschen haben ganz unterschiedliche Vorstellungen dazu, aber alle gehen davon aus, dass etwas von einem Menschen bleibt. Das sind ganz einfache, kleine Sätze, aber sie könnten so eine Art Minimalkonsens sein. Es gibt auch mehr Möglichkeiten, aber die müssen eben im Team ausgelotet werden. Es lohnt sich, wenn man sich als Team Zeit nimmt, um die Antworten auf solche Fragen zu besprechen. Auch weil Kinder sehr bohrend und sehr genau nachfragen.

Wie können Sie helfen, wenn ein Team mit einem akuten Todesfall umgehen muss?

Nina Weiß: Hier handelt es sich dann um ein Notfall-Angebot für Einrichtungen, bei denen sich das Team unsicher fühlt und Fragen hat. Ein Todesfall löst starke Betroffenheit aus und oft steht die Frage im Raum: Was machen wir jetzt? Es muss schnell gehandelt und entschieden werden: Wie gehen wir mit den Betroffenen um, was muss bedacht und organisiert werden, wie gestalten wir den Tag, wie die nächste Zeit? Zum Glück gibt es solch eine Situation nur sehr selten, aber wenn sie da ist, dann biete ich an, zu kommen und zu sortieren. Ich habe einen Krisenfahrplan in der Tasche, an dem man sich orientieren kann. Einrichtungen aus dem Pestalozzi-Fröbel-Haus haben meine Handynummer, wenn mich jemand in solch einem Fall kontaktiert, dann komme ich ganz schnell. Garantieren kann ich dieses Angebot nur für Einrichtungen des PFH. Aber auch Einrichtungen, die nicht zum Pestalozzi-Fröbel-Haus gehören, können sich in solchen Fällen bei mir melden. Manchmal reicht eine telefonische Beratung oder ich kann Kontakte empfehlen, die weiterhelfen können.

Auch der Verlust von Gesundheit, von Lebensvorstellungen belastet Menschen. Sind derartige Gefühle mit Trauer vergleichbar?

Nina Weiß: Ja natürlich. Trauer ist ein weites Feld. Viele Verlusterfahrungen ziehen Trauerprozesse nach sich. Das kann Verlust von Heimat sein, Verlust geliebter Menschen durch Trennung, Verlust der Gesundheit und auch Verlust von Lebensplänen. Wir alle kennen solche Erfahrungen und sind dadurch auch alle schon Experten auf dem Gebiet. Uns das bewusst zu machen, kann uns stärken. In meiner Tätigkeit als Facherzieherin für Integration, hatte ich es oft mit Eltern zu tun, die Abschied nehmen mussten von einer bestimmten Vorstellung des Lebens mit ihrem Kind. Dann wenn deutlich wurde, wie gravierend bestimmte Einschränkungen des Kindes eigentlich sind. Im Vergleich mit Altersgenossen wird ihnen ein Handicap manchmal erst richtig bewusst. Das kann einen Prozess der Trauer auslösen.

Inwiefern müssen Fachkräfte für Integration mit dieser Trauer umgehen können?

Nina Weiß: Es gibt verschiedene Phasen der Trauer. Am Anfang steht meist das Nicht-Annehmen-Wollen. Die Menschen wollen einen bestimmten Umstand nicht anerkennen, nicht wahrhaben, streiten ihn ab. Bei Eltern von Kindern mit Handicap könnten wir Erzieherinnen in dieser Phase ungeduldig werden und denken: Wieso wollen die Eltern dies oder das nicht hören? Sie müssen doch den Tatsachen ins Auge sehen… Wenn wir jedoch um die Trauerphasen wissen, können wir erkennen, wann wir mit bestimmten Nachfragen und Anforderungen auf die Eltern zugehen können. Und dass wir den Eltern zuvor Zeit lassen müssen, dass wir geduldig warten, sie begleiten und darauf vertrauen, dass sich die Dinge entwickeln.

Seit 15 Jahren engagieren Sie sich für den Verein Calaca e.V., der die mexikanischen Totentage in Berlin organisiert. Was ist das für eine Veranstaltung?

Nina Weiss: Der Verein besteht überwiegend aus Mexikanern. Wir feiern jedes Jahr die Mexikanischen Totentage, ein traditionelles mexikanisches Fest zum Gedenken an die Verstorbenen. Ich bin durch eigene Verluste mit diesem Verein in Kontakt gekommen, und es war damals ein Aha-Erlebnis. Ich hatte unsere Form des Gedenkens der Toten als sehr beklemmend und nicht im Einklang mit meinen Gefühlen erlebt. Beim Mexikanischen Totenfest ist das anders. Es werden sehr viele unterschiedliche Emotionen angesprochen, die schönen Erinnerungen, die Sehnsucht, die Wut über die Wege des Lebens bzw. Sterbens und  die Angst vor dem eigenen Tod. Das alles geschieht in der Gemeinschaft und es gibt viele Möglichkeiten, sich einzubringen. Dadurch wird die Erinnerung sehr lebendig und wir haben tatsächlich das Gefühl, ein Fest mit den Toten zu feiern. Im mexikanischen Alltag ist der Tod sehr viel präsenter ist als hier. Das kann durchaus auch zu mehr Lebensfreude führen. Der Wert des Lebens wird einem stärker bewusst. Mit dem Verein organisieren wir jährlich, mit sehr viel Liebe zum Detail, eine große kulturelle Veranstaltung mit Musik, Theater, Tanz, mexikanischem Essen und einem großen Gabentisch für die Verstorbenen. In dieser mehrtägigen Veranstaltung steckt unglaublich viel ehrenamtliche Arbeit. Sie findet immer Ende Oktober oder Anfang November statt. Aufgrund der hohen Nachfrage haben wir 2019 damit begonnen, einen zusätzlichen Tag nur für Bildungseinrichtungen zu öffnen. Dort gibt es ein Rahmenprogramm mit Workshops, Ausstellungen und Theaterstücken. 500 Kinder haben uns an diesem Tag im letzten Jahr besucht. Fachkräfte lernen hier viele unterschiedliche, kreative Möglichkeiten zum Thema kennen, die sie im Anschluss auch selbst einsetzen können. Es gibt viel zu lachen, und ja, es wird auch geweint. Jugendliche und Kinder  erhalten Gelegenheit aktiv zu sein und haben dabei viel Spaß. Es ist keine furchtbar getragene Sache, wo man sich fragen muss, ob sie für Kinder zumutbar ist.

Das Interview führte Julia Ziegler, Pestalozzi-Fröbel-Haus, im Januar 2020