Wir fragen nach bei Elisabeth Wabnitz, Erzieherin in der Ganztagsbetreuung der Grundschule am Barbarossaplatz. Sie erzählt über schwierige wie schöne Erlebnisse in der Notbetreuung und über ihren Alltag mit strengen Corona-Schutzmaßnahmen.

Sie waren von Anfang an laufend in der Notbetreuung eingesetzt. Wie ging es den Kindern, die Sie betreuten, wie ging es Ihnen während des Corona-Lockdowns? War es eine schwierige Zeit?

Ja, es war schwierig. Die Kinder haben zwar ein gutes Gespür für die neuen Anforderungen entwickelt und sind größtenteils sehr rücksichtsvoll. Aber sie merken natürlich schon, dass die Lage angespannt ist. Dass wir andere Prioritäten haben als früher. Es gibt so viele Vorgaben, die wir erfüllen müssen, Hygienemaßnahmen, Abstandsregeln. Daran müssen wir immer wieder erinnern – einige Kinder mehr als andere. Der Hortalltag ist auf jeden Fall nicht mehr so entspannt wie früher. 

Können Kinder die Hygienemaßnahmen überhaupt einhalten?

Das ist von Kind zu Kind unterschiedlich. Zumal wir integrativ arbeiten: wir betreuen auch Kinder mit Handicaps. Es gibt Situationen, in denen sich die Kinder der Hygieneregeln sehr bewusst sind und sich wirklich vorbildlich verhalten, vor allem drinnen. Schwierig wird es dann eher draußen: Das Wetter ist toll, die Wasserpumpe ist an, alle Kinder wollen zur Wasserpumpe. Da müssen wir dann öfter einhaken und sagen: Kinder, wir müssen immer noch auf Abstand achten. Wir sprechen uns in solchen Situationen im Team spontan ab, treten in Kontakt mit den Kindern und finden Regelungen, die den Umgang sicher machen. 
 
Haben Sie das Gefühl, dass die Kinder auch emotional belastet sind?

Ja, ich denke schon. Was die Kinder hier häufig ansprechen ist: Sie vermissen die Ausflüge oder andere Rituale, die wir sonst so hatten. Aktuell z.B. die Drittklässlerpartys, die wir bisher immer gefeiert haben, wenn die Drittklässler in ein neues Haus gezogen sind. Wir betreuen hier im Hort die Kinder ja in vier Häusern nach Klassen aufgeteilt. Hinzu kommt, dass wir die Kinder anders als früher aktuell in kleinen, festen Gruppen betreuen. Wenn dann die beste Freundin oder der beste Freund aus irgendeinem Grund nicht in der eigenen Gruppe sein kann, dann werden das manchmal lange Tage für die Kinder. 

Hatten Sie schon Sorgen, sich anzustecken bei der Arbeit?

Ich persönlich bin nicht der Typ, der hier auf der Arbeit große Sorgen hat. Wir geben unser Bestes, uns an die Hygieneregeln zu halten. Eher habe ich da in der U-Bahn Sorgen. 

Welche Schutzmaßnahmen gelten bei Ihnen im Hort? 

Wir Fachkräfte aus dem Team tragen in unseren Räumen in der Regel keinen Mund-Nasen-Schutz. Es gibt Kinder, die bringen eine Maske mit und setzen sie manchmal auf, aber nie die ganze Zeit. Unsere Kantinenkraft trägt dagegen immer Mundschutz beim Austeilen des Essens, und wir gehen alle gestaffelt zum Essen. Besucher oder Eltern, die unsere Räumlichkeiten betreten, müssen Mundschutz tragen. Und wir alle im Team sind natürlich dazu angehalten, häufig zu lüften, die Oberflächen, Lichtschalter, Türklinken regelmäßig zu desinfizieren und dafür zu sorgen, dass eine Verbreitung von Keimen so wenig wie möglich stattfinden kann. Nach wie vor haben wir feste Gruppen. Wenn mehr Kinder kommen, dann machen wir eine weitere Gruppe auf. Geschwister werden in einer Gruppe betreut, und wir versuchen, die Gruppen so klein wie möglich zu halten. Wenn es das Wetter zulässt, gehen wir raus an die frische Luft.

Vor Corona waren die Räume hier im Hort in Themenbereiche aufgeteilt. Jedes Kind konnte sich frei bewegen und selbst seine Aktivitäten und Spielgefährten auswählen. Können Sie dieses Konzept der Offenen Arbeit aufrechterhalten?

Offene Arbeit ist bei uns gerade leider nicht möglich. Jede Gruppe hat einen eigenen Raum, und die Kinder wissen: sie müssen in ihrem Raum bleiben, auch wenn es schwer ist. Wir haben umgeräumt und die Möbel auf die verschiedenen Räume neu verteilt. Jetzt gibt es in jedem Raum einen Tisch mit Stühlen, ein paar Spiele, Stifte und Blätter. So haben die Kinder in jedem Raum die gleichen Möglichkeiten, sich zu beschäftigen. 

Was waren die größten Herausforderungen während der letzten Zeit?

Wir müssen viele neue Vorgaben in unserer pädagogischen Arbeit umsetzen, was auch einen enormen organisatorischen Aufwand einschließt. Wir führen z.B. gerade Anmeldelisten, wo uns die Eltern sagen müssen, wie sie in der nächsten Woche die Notbetreuung in Anspruch nehmen möchten. Damit wir überhaupt planen können: Wie viel Personal brauchen wir, wie viel Essen müssen wir bestellen, welche Räumlichkeiten können wir nutzen, müssen wir irgendwo anders hin ausweichen, falls es zu viele Kinder werden? Immer wieder trafen sehr kurzfristige Änderungen bezüglich der Vorgaben ein, auf die wir uns einstellen mussten. Schwierig ist für mich auch, dass ich zu vielen Kindern schon lange gar keinen persönlichen Kontakt mehr haben kann, weil sie nicht in der Notbetreuung sind. Viele Erstklässler habe ich seit Mitte März nicht mehr gesehen. Da wird viel Beziehungsarbeit stattfinden müssen, sobald der normale Schulbetrieb wieder startet.

Haben Sie versucht, Kontakt mit jenen Kindern aufzunehmen, die derzeit zu Hause und nicht in der Notbetreuung sind?

Wir haben digitale Medienangebote erstellt vor allem für die Kinder zu Hause. Kleine Videos, die wir an die Eltern geschickt haben verbunden mit der Bitte, den Kindern die Filme zu zeigen. Eines meiner Angebote war zum Beispiel, dass ich ein Rätselvideo gemacht habe, bei dem ich einen Spaziergang im Park gefilmt habe und es dazu Fragen gab. Zum Beispiel: Wie viele Vogelhäuschen habt ihr gesehen? Oder: Welche Farbe hatte der Käfer auf meiner Jacke? Eine Kollegin von mir hat ein Sportangebot gemacht, Bewegungsmemory nannte sie das, das wurde auch gern angenommen. Es gab auch Bastelanleitungen und einiges mehr, einfach kleine Angebote, um uns in Erinnerung zu rufen und in Kontakt zu bleiben mit den Kindern. Bei diesen Filmen haben die Kinder uns Erzieher in der Regel gesehen, so dass wir ein bisschen präsent sein konnte in ihrem Alltag. Es kam viel positives Feedback aus den Familien zu diesen Angeboten, das hat uns im Team gefreut.  

Sie mussten in der Notbetreuung viele Vorgaben des Senats rund um Schutzmaßnahmen umsetzen, die sich auch laufend ändern. Wie empfanden Sie diese Vorgaben bisher?

Wir fragen uns manchmal, wer den Senat vor seinen Entscheidungen berät. Theorie und Praxis sind natürlich immer ganz verschieden. Wir möchten, dass bei Beschlüssen von Regelungen bezüglich unserer pädagogischen Arbeit Interessenvertretungen von uns mit einbezogen werden. Schwierig war, dass die Regelungen manchmal sehr kurzfristig kamen und auch nicht zuerst an unsere Leitung und unseren Träger geschickt wurden, sondern als Pressemitteilungen rausgingen. Dann mussten wir erst mal gucken, wenn wir auf Arbeit kamen: Gibt es eine neue Pressemitteilung? Gibt es neue Regelungen? Das fand ich sehr irritierend. Da würde ich mir wünschen, dass der Informationsfluss erst zu den betroffenen Fachkräften kommt und dann an die Presse rausgegeben wird, so dass wir angemessener reagieren können und uns nicht so kurzfristig umstellen müssen. 

Können Sie ein Beispiel nennen?

Ganz aktuell fällt mir das Beispiel der Ferienorganisation ein. Da kam die Pressemitteilung von Frau Scheeres Anfang Juni, dass mit Beginn der Sommerferien so viele Regelungen wegfallen und aufgeweicht werden, dass es für uns schwierig ist, das umzusetzen. Z.B. wird die Gruppengröße auf 22 Kinder erhöht, dabei dürfen sich die Gruppen untereinander natürlich weiterhin nicht durchmischen. Die sonst übliche dreiwöchige Schließzeit fällt weg. Viele Kolleg*innen müssen deshalb nun auf ihren Urlaub verzichten oder ihre Ferienpläne ändern.

Hat Corona auch gute Dinge gebracht, die bleiben?

Wir haben glaube ich ein gutes Gespür dafür bekommen, was schon funktioniert und woran noch gearbeitet werden muss. Die Kommunikation zum Beispiel sollte verbessert werden. Ich habe auch gelernt, was ich an meinem Team und an meiner Arbeit habe. Ich habe ein großartiges Team, das sich sehr gut gegenseitig unterstützt. Das ist nicht selbstverständlich. Wir sind näher zusammengerückt in diesen Zeiten und versuchen, das Beste daraus zu machen. Und die Kinder sind da noch besser drin als wir, die Dinge so zu nehmen, wie sie sind und zu suchen, was sie brauchen.

Wie blicken Sie in die Zukunft?

Ich versuche, optimistisch zu bleiben. Ich hoffe, dass wir die Kurve kriegen und dass keine zweite Welle kommt. Toi toi toi. Und wenn doch eine zweite Welle kommt, dass wir gelernt haben: Wie wichtig klare Kommunikation ist. Wie wichtig Transparenz ist. Teamarbeit. Spontanität. Und dass wir mit diesem Wissen gestärkt durchstarten.

Interview: Julia Kocher, Pestalozzi-Fröbel-Haus, 19. Juni 2020