In dieser Rubrik stellen wir Mitarbeiter*innen des PFH vor. Tolga Denli leitet das Fresh 30, einen interkulturellen Treffpunkt für Kinder und Jugendliche. Er erzählt über seine schönsten Momente und über seinen Alltag.

Dieses Interview entstand für die Rubrik "Auf einen Kaffee mit..." des PFH-Newsletters vom 16. Dezember 2022. Zum Newsletter

Wir fangen mit einer TOP-Liste an: Was sind die drei Dinge, die dir bei deiner Arbeit am meisten Spaß machen?

Tolga Denli: Die Zusammenarbeit mit den Besucher*innen, meinen Kolleg*innen und das Vernetzen mit sozialen Akteur*innen im Kiez und im Sozialraum.

Was sind die Challenges?

Tolga Denli: Unsere Einrichtung ist leider zu klein, um die ganzen Bedarfe im Sozialraum abzudecken. Wir haben teilweise 60 Besucher*innen am Tag. Ebenso ist unsere aktuelle Besetzung im Team mit zwei festen Stellen nicht dem Standard entsprechend. Besonders die Erwartungen aus dem Kiez an uns sind teilweise belastend und nicht in unserem Aufgabenbereich. Wir können kein Auffangbecken sein für alle Bedarfe in der Region. Aktuell befassen wir uns sehr stark mit dem Thema, dass uns der Vermieter mit Kündigung gedroht hat, falls es im Kiez nicht ruhiger wird, da sich anscheinend zum späten Abend junge Menschen im Kiez aufhalten und seiner Meinung nach zu laut sind. Den Menschen klar zu machen, was unsere Aufgabe ist, wo unsere Kapazitäten enden, sind immer wiederkehrende Herausforderungen, die wir in der Einrichtung bewältigen müssen.

Warum kommen die Kinder und Jugendlichen zu euch ins Fresh 30, was suchen sie oder was zieht sie an?

Tolga Denli: Das Fresh 30 ist wie ein zweites Zuhause für die Besucher*innen. Hier fühlen sie sich verstanden und aufgenommen. Es ist ihr Schutzraum, in dem sie sich frei entfalten können, sich ausruhen und auch mal zurückziehen können. Außerdem arbeiten wir auf allen Ebenen partizipativ, das heißt die Besucher*innen entscheiden vieles mit. Von Sachmittelausgaben, Planung von Angeboten und Ferienprogrammen, bis hin zur Gestaltung der Räume. Das gibt ihnen ein Gefühl von Zugehörigkeit und das Wissen, Entscheidungen treffen zu können.

Welche Themen beschäftigen die Kinder und Jugendlichen aus deinem Umfeld zurzeit am meisten?

Tolga Denli: Es ist ein Riesen-Potpourri an Themen. Von Diskriminierungserfahrungen, Religion, über politische Themen wie die WM in Katar, Frauenrechte im Iran bis hin zum Nahostkonflikt. Sowie alltägliche Hürden, die sie täglich meistern müssen, wie Familie, Schule und Freundschaften. Alltägliche Themen verlieren nie an Aktualität.

Was können Sozialpädagog*innen und sonstige pädagogische Fachkräfte Kindern, jungen Menschen und Familien geben?

Tolga Denli: Ihre Aufmerksamkeit, ihre Zeit und ihren Respekt. All diese Menschen so zu akzeptieren, wie sie sind. Pädagog*innen sollten nicht separieren und ausschließen, ebenso sollten sie nicht nach Fehlern oder Schwächen suchen, sondern eher die Stärken, die die Menschen mitbringen, als Ressourcen sehen. Ebenso ist es wichtig, dass die Pädagog*innen sich als Angebot wahrnehmen und ihre Ressourcen und Erfahrungen mit einbringen. Jeder Mensch hat mal einen schlechten Tag, wir wissen nie, wie die Jugendlichen zu uns reinkommen und welches Gepäck sie mitbringen aus ihrem Privaten. Deshalb sollte man sensibel sein und auf die jungen Menschen einfühlsam eingehen.

Was machst du in deiner Freizeit, wie entspannst du dich?

Tolga Denli: Ich verbringe so viel Zeit wie möglich mit meiner Familie und meinen Freund*innen, sie sind mein Ruhepol und kommen leider sehr oft zu kurz.

Drei Orte in Berlin, die du besonders magst?

Tolga Denli: 1. Kreuzberg (Möckernkiez), da bin ich geboren und aufgewachsen. 2. Schöneberg Nord (Steinmetz-Kiez), hier arbeite ich und hier hängt mein Herzblut dran. Die Menschen aus diesem Kiez haben mich mit offenen Armen empfangen und mir immer das Gefühl gegeben, hier willkommen zu sein. Mit den Besucher*innen aus Schöneberg sind wir zusammen gewachsen und gereift. 3. Die Nähe meiner Familie, weil diese Personen einen Ort zu meinem Zuhause machen.

Die schönsten, besondersten Ereignisse, an die du dich im Fresh 30 erinnern kannst?

Tolga Denli: Mein erster Arbeitstag im Fresh 30 (23.08.2010). Nachdem ich die Besucher*innen kennengelernt hatte wusste ich, dass dieser Ort der richtige für mich ist. Ich hatte das Gefühl, angekommen zu sein und mich auf das Abenteuer Fresh 30 einzulassen.

Der Vorbildspreis, den mir die Jugendlichen aus dem Fresh 30 kürzlich überreicht haben, da dieser von den Besucher*innen selbst initiiert wurde und er für mich das wichtigste Feedback in meiner Arbeit ist. Besonders froh bin ich darüber, dass eben dieser Preis vom Jugendamt verstetigt werden soll, da sie dort diesen Ansatz der jungen Menschen, selbst Pädagog*innen zu ehren, als sehr wichtig empfinden.

Die Reise nach Antalya, da es die erste Auslandsreise seit dem Bestehen des Fresh 30 war. Die Kolleg*innen sowie die Besucher*innen anders und inniger zu erleben und neu kennenzulernen hat mir gezeigt, dass man in dieser Arbeit nie auslernt. Wir haben lange Abende miteinander verbracht und viele gute Gespräche geführt und unvergessliche Momente erlebt.

Ebenso die Momente, wenn die Besucher*innen des Fresh 30 ihre Freude mit uns teilen, wenn sie einen Ausbildungsplatz finden und ihre Zeugnisse erhalten, worauf sie stolz sind. Mir fällt immer die Situation eines Besuchers ein, der zwei Ausbildungen abgebrochen hat und sich nicht sicher war, ob er überhaupt noch eine Ausbildung angehen sollte. Er hatte Sorgen, die Leistungen, die man von ihm erwartete, nicht erbringen zu können und er fragte sich, ob er den Ansprüchen gerecht werden könnte. Ich habe ihm geraten, vielleicht in Betracht zu ziehen, die Ausbildung zum Sozialassistenten zu machen. Denn ich habe viel Potenzial in ihm gesehen, welches er im sozialen Bereich nutzen könnte. Daraufhin hat er sich dazu entschieden, eben diesen Weg einzuschlagen. Das Ergebnis: Er hat als Jahrgangsbester seine Ausbildung beendet. Daraufhin hat er seine Fachhochschulreife absolviert mit der Abschlussnote 1,0 und heute studiert er Psychologie. Diese Momente werde ich nie vergessen.

Wie würde deine Mutter dich beschreiben?

Tolga Denli: Ich habe meine Mutter gefragt: Ehrgeizig, hilfsbereit, loyal, aufopferungsvoll, lustig, aber auch ab und zu mal ernst ; ).

Eine Glücksfee erscheint und erfüllt dir drei Wünsche rund um deine Arbeit: Was wünscht du dir?

Einen unbefristeten Ort mit Außenbereich für das Fresh 30, weil ich mir wünsche, dass die Besucher*innen einen dauerhaften Safe Space haben.

Eine bessere Finanzierung, um jedes Jahr mit den Besucher*innen reisen zu können, weil die Reisen einfach etwas Besonderes sind.

Gesundheit, um den Job weiterhin machen zu können, ohne Gesundheit kann man nicht handeln.