
Im April 2025 startete das dreimonatige künstlerische Projekt mit einem Kennenlerntermin in den Räumen des Grundschulprojekts Bethanien. Grundschüler*innen der Klassenstufen zwei bis sechs wurden von der Künstlerin Irina Novarese in die Themen Raum und Erinnerung eingeführt.
Wo und wie vernetzen sich Erinnerungen?
Auf einer Stadtkarte von Berlin verorteten die Kinder ihr Zuhause und ihre Schule. Sie beschrieben auf der Karte ihre bekannten Wege und erkundeten Verbindungen zum Georg Kolbe Museum. Es wurde deutlich, dass der Weg dorthin ihren Rhythmus der Fortbewegung erweitern wird.
Aufbauend auf der Auseinandersetzung mit den räumlichen Dimensionen ihrer Lebenswelten, beschäftigte sich die Gruppe anschließend mit der Verortung von Erinnerungen.
Wo im Körper erinnert man sich? Wie speichert man im Körper Informationen, wo lagert man sie ab? Wie ruft man Erinnerungen wieder ab? Zur Unterstützung der persönlichen Auseinandersetzung dienten Fotografien von Skulpturen und schematische Zeichnungen, anhand derer die körperliche Verortung der Erinnerungen gesucht und beschrieben wurde.
Jedes Kind erhielt und gestaltete eine kleine Box, um in diese an jedem Projekttag eine Erinnerung abzulegen. Die Kisten wurden zu einem individuellen Speicherort des gesamten Projekts. Diese Art der Dokumentation ermöglichte es, etwas Bleibendes zu schaffen, das sichtbar ist.
Auf den Einführungstermin folgten sechs Workshoptage im Georg Kolbe Museum und eine Abschlusspräsentation im Juni 2025. Beim ersten Termin im Museum erfuhren die Kinder über das Leben und Werk von Georg Kolbe, den Ort und die Ausstellung „Tea and Dry Biscuits. Eine Jubiläumsausstellung“. Präsentiert wurden viele der Kolbe-Skulpturen, die bei der Museumseröffnung vor 75 Jahren zu sehen waren und in der aktuellen Ausstellung mit Positionen zeitgenössischer Künstler*innen kombiniert wurden.
Wie übt man Zutrauen?
Den Kindern wurde ein Raum eröffnet, in dem sie sich ausprobieren und selbst verorten konnten. Sie nahmen die Einladung an und eigneten sich den Ort nach und nach an.
Von Termin zu Termin wurde das Museum immer mehr zu einem neuen, vertrauten Zuhause. Die Architektur des privat wirkendenden Museums, Innen- und Außenräume sowie der Garten mit Kiefern und Brunnen förderten diesen Aneignungsprozess.
Unterstützt wurde dieser beeindruckende Prozess ebenso durch eine respektvolle Ansprache der erwachsenen Begleiter*innen und durch die Haltung, dass die Kinder sich dort frei ausdrücken dürfen. Den Kindern wurde vertraut, sie wiederum haben Vertrauen in den neuen Raum gegeben. Das Museum wurde zum Ort der Sicherheit und Ruhe.
Wer bin ich und wo bin ich?
An jedem Workshoptag experimentierten die Kinder dort mit unterschiedlichen Materialien und Techniken. Während neue Abläufe zu Ritualen wurden, probierten sie immer wieder bisher unbekannte künstlerische Herangehensweisen und Methoden aus.
Die Gruppe setze sich mit ausgewählten Ausstellungsobjekten auseinander, betitelten diese neu und besprachen sie. Die Kinder zeichneten ihre Gedankenverläufe, bauten in kollektiver Arbeit eine große Gedanken-Erinnerungs-Skulptur und erstellten großflächige Mindmaps, in denen abstrakte Gedankenketten hervortraten.
Mithilfe von Stempeln, Schreibmaschinen, Papier und Stiften entstanden visuelle und textbasierte Arbeiten. Im nicht weit vom Museum gelegenen Georg-Kolbe-Hain konstruierten die Kinder bunte Zelte mit Stoffen, Seilen und Farben. Während des letzten Termins vor der Abschlusspräsentation bauten die Kinder dort mit Schnüren ein dreidimensionales, 120 qm großes Mindmap - um die Skulpturen und Bäume des Parks herum. Die Kinder präsentierten sich gegenseitig die dort ausgestellten Erinnerungsketten aus Fotos, Bildern, Texten und Verbindungen, die sich in einer Art Spinnennetz überschnitten.
Die Schüler*innen überlegten, wie und was sie bei ihrem Präsentationstermin zeigen möchten. Die entstandenen Arbeiten wurden zusammengetragen, im Georg Kolbe Museum aufgebaut und eine Ausstellung gestaltet, in denen sie ihre Erinnerungen teilten. Sie führten durch ihre Ausstellung und erklärten, was zu sehen und wie es entstanden ist. Ebenso von ihnen geplant gab es ein großes Buffet, bei dem weder ihre Lieblingssoftdrinks noch blaue Chips fehlen durften.
Wann geht es weiter?
Das Grundschulprojekt Bethanien ist eine schulersetzende Tagesgruppe mit dem Ziel, Kinder auf ihrem Weg zurück in die Regelschule zu begleiten. Der Wechsel von Orten und damit verbundenen Herausforderungen spielen für viele eine besondere Rolle. Die Fähigkeit, sich in ungewohnten Situationen zu orientieren, wurde durch künstlerisches Arbeiten, körperliche Erfahrungen und gemeinsames Erleben gestärkt.
Die Entwicklung im Projektverlauf hat alle Beteiligten positiv überrascht. Die Kinder begegneten neuen Inhalten mit Offenheit und Neugier, dank der künstlerischen Herangehensweise konnten sie Kompetenzen weiterentwickeln und ihr Selbstbewusstsein stärken.
Besonders erfreulich war zu beobachten, wie über den Projektverlauf aus einer Gruppe eine echte Gemeinschaft wurde, in der jedes Kind seinen Platz gefunden hat. Die Kinder übernahmen zunehmend Verantwortung füreinander, achteten aufeinander und lernten, miteinander zu teilen und sich gegenseitig zu unterstützen.
Das Projekt hat gezeigt, welches Potenzial in solchen erfahrungsbasierten Ansätzen liegt. Es macht deutlich, wie wertvoll und notwendig die Erschließung neuer Räume für die persönliche und soziale Entwicklung von Kindern ist.
Künstlerische Vermittlung: Irina Novarese
Pädagogische Begleitung: Patrick Koch (Grundschulprojekt Bethanien)
Pädagogische Assistenz: Michele Rohland und Alicia Skenderski
Museumsvermittlung: Barbara Campaner (Georg Kolbe Museum)
Projektleitung: Anja Bodanowitz (Jugend im Museum e.V.)